ftd.de, So, 9.11.2003, 7:00
Kapitalgedeckte Vorsorge:
Von Dirk Popielas

Wie große Pensionsvermögen die Kapitalmärkte verändern und mit welchen Strategien institutionelle Anleger auf die jüngsten Börsenturbulenzen reagieren müssen.
Deutschlands Alterssicherungssystem steht vor einem gewaltigen Umbau: Kapitalgedeckte Vorsorge wird die umlagefinanzierte Rente in großem Umfang ersetzen und ergänzen müssen. Mittelfristig sollten aus kapitalgedeckten Vorsorgeplänen etwa 50 Prozent der Altersversorgung finanziert werden.

Welche enormen Folgen dies für die Kapitalmärkte hat, zeigt eine einfache Rechnung: Die betriebliche Altersversorgung deckt heute erst rund fünf Prozent der Alterseinkommen. Um diesen Anteil auf international noch unterdurchschnittliche 15 Prozent zu steigern, müssten weitere 600 Mrd. Euro angesammelt werden. Zum Vergleich: Die Marktkapitalisierung aller Dax-30-Unternehmen beträgt gegenwärtig rund 510 Mrd. Euro.

Viele Untersuchungen deuten auf einen Zusammenhang zwischen der Größe der kapitalgedeckten Rentensysteme eines Landes und der Kapitalisierung des lokalen Aktienmarktes. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die Kapitaldeckung von Pensionsansprüchen der bedeutendste Wachstumsmotor für institutionelle Vermögen ist. Im Gegenzug sind es vor allem große institutionelle Investoren, die durch ihre Tätigkeit zu einer höheren Marktkapitalisierung und Liquidität beitragen. Zudem können

mächtige Pensionsfonds auf eine effizientere Weise Shareholder-Interessen wahrnehmen, was langfristig zu einer höheren

Eigenkapitalrendite führen sollte.

Stabilisator der Märkte

Niederlanden, der Schweiz oder Großbritannien. Auch in diesen Ländern wird die Sozialversicherung, obwohl sie oft nur den Charakter einer Grundversorgung hat, über ein Umlageverfahren finanziert. Aber die Pensionsverbindlichkeiten der eigenen Angestellten beziehungsweise Beamten und deren Kosten sind durch kapitalgedeckte Versorgungswerke nicht auf Folgegenerationen von Steuerzahlern verlagert. Die großen betrieblichen Versorgungswerke leisten einen immensen Beitrag zur Stabilität der Kapitalmärkte.

Man kann die Kausalität zwischen Marktkapitalisierung und Pensionsvermögen aber auch umkehren: Je unterentwickelter die heimischen Kapitalmärkte sind, desto geringer ist der Anreiz, eine kapitalgedeckte Altersversorgung aufzubauen. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen.

Selbst in Ländern mit relativ entwickelten Kapitalmärkten ist das Angebot an Kapitalanlagen, die sich zur Deckung langfristiger Pensionsverbindlichkeiten eignen, eher gering. So ist der Markt für langfristige inflationsgesicherte Bonds in den USA und Großbritannien illiquide. Auch die normalen 30-jährigen Staatsanleihen sind teilweise nicht im benötigten Umfang vorhanden. Manche Staaten haben sogar die Emission langfristiger Obligationen ganz eingestellt.

Aktien stellen auch nach der Baisse der letzten drei Jahre die größte Anlageklasse in Portfolios amerikanischer und britischer Pensionsfonds dar. Im langfristigen Vergleich bieten sie einen besseren Hedge gegen Inflation als Anleihen. Trotzdem haben die gravierenden Verluste an den Aktienmärkten gezeigt, dass Pensionsfonds, die über eine hohe Aktienquote verfügen, kurzfristig ein hohes Risiko tragen. Dieses Risiko hat bei einigen Pensionsfonds zu einer erheblichen Unterdeckung ihrer Verbindlichkeiten geführt und dadurch Kapitalbedarf beim Trägerunternehmen ausgelöst.

Eine echte Herausforderung

Für viele institutionelle Investoren ist das Erreichen ihrer Zielrendite notwendig, um die eingegangenen Pensionsversprechen zu erfüllen. Dies ist aber in dem jetzigen Marktumfeld eine echte Herausforderung. Das Zinsniveau ist historisch niedrig und die gesunkene Risikokapitalausstattung der institutionellen Investoren erhöht ihre Risikoaversion. Das begrenzt die Renditeerwartungen. Gerade vor diesem Hintergrund sind eine effiziente Steuerung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten (Asset-Liability-Management) und ein gutes Risikomanagement wichtiger denn je.

Träger externer betrieblicher Versorgungswerke sowie Versicherungsunternehmen, die über Rückdeckungs- und Direktversicherungen ebenfalls betriebliche Pensionspläne verwalten und finanzieren, sind nach den dramatischen Börsenentwicklungen der letzten Jahre mit Kapitalausstattungsproblemen ungekannten Ausmaßes konfrontiert worden. Das Platzen der Aktienblase wäre für die Pensionsfonds weltweit leichter zu verdauen gewesen, wenn ihre Verbindlichkeiten ebenfalls gesunken wären. Das Gegenteil war aber der Fall.

Das Zinsniveau ist über den gleichen Zeitraum um mehr als 200 Basispunkte gefallen und hat somit zu einem starken Anstieg der betrieblichen Pensionsverbindlichkeiten geführt, da Verbindlichkeiten nach internationalen Bilanzstandards mit einem sich am Marktzins orientierenden Rechnungszins abdiskontiert werden. Schrumpfende betriebliche Altersvorsorgevermögen einerseits und steigende Verbindlichkeiten andererseits haben den Deckungsgrad zahlreicher Pensionsfonds massiv reduziert.

Asset-Liability-Management rückt in den Mittelpunkt

Überdeckungen bei den Versorgungswerken sind deutlich abgeschmolzen und haben sich nicht selten in Deckungslücken verwandelt. Die asymmetrische Entwicklung von Aktiv- und Passivseite ihrer Bilanz hat den institutionellen Investoren verdeutlicht, dass sie sich in der Vergangenheit nicht die Frage gestellt haben, inwieweit ihre Kapitalanlagen ungünstige Entwicklungen der Verbindlichkeiten abzusichern vermögen. Als Folge ist nun das Asset-Liability-Management in den Mittelpunkt gerückt, um über effiziente Portfolios die bestehenden Verpflichtungen zu erfüllen und die Aufwendungen der Trägerunternehmen zu stabilisieren.

Benefit) und solche mit Beitragszusage (Defined Contribution). Darüber hinaus sind oft hybride Formen anzutreffen, wie etwa Beitragszusagen mit Mindestgarantie oder beitragsorientierte Leistungszusagen. Die zwei Hauptfaktoren, die den Typus eines Pensionsplans definieren, sind die Gestaltung der Beitrags- und Leistungszahlungen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers. Müssen künftige Leistungen unabhängig von den vorhandenen Assets vom Arbeitgeber erbracht werden, liegt eine Leistungszusage vor.

Bei dieser Art der Pensionsplangestaltung hat der Arbeitnehmer bei Renteneintritt Anspruch auf eine meist nach einer Rentenformel berechnete Leistung. Das Kapitalanlagerisiko, Langlebigkeitsrisiko und sonstige operativen Risiken trägt der Arbeitgeber. Falls er sich nur zur Zahlung der periodischen Beiträge verpflichtet hat, sind die künftigen Rentenleistungen unbestimmt und von der Höhe des angesparten Vermögens zum Zeitpunkt des Renteneintritts abhängig. Man spricht von einer reinen Beitragszusage, wie sie in den USA oft anzutreffen ist. Das Kapitalanlage- und das Langlebigkeitsrisiko trägt in diesem Fall der Arbeitnehmer.

Die Leistungszusage ist historisch gesehen die ältere Variante. Die gestiegene Lebenserwartung beeinträchtigt damit auch die klassischen betrieblichen Pensionspläne mit Leistungszusage, die in Deutschland hauptsächlich durch Pensionsrückstellungen über die Bilanzen finanziert werden. Die Kombination aus Kapitalmarktverlusten und gestiegenen biometrischen Risiken haben bei einigen US-Pensionsfonds sogar bedeutende Kapitalmaßnahmen ausgelöst. General Motors musste beispielsweise Fremdkapital in Höhe von 17,4 Mrd. $ aufnehmen, um die Unterdeckung des betriebseigenen Pensionsfonds auszugleichen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass viele Unternehmen ihre Defined-Benefit-Pläne für Neueintritte schließen und zu Beitragszusagen übergehen. Erst kürzlich hat Siemens einen Wechsel zu einem beitragsorientierten Plan mit einer Mindestgarantie von 2,75 Prozent angekündigt - dem Garantiezins der Lebensversicherer ab 1. Januar 2004.

Reine Beitragszusagen, wie in den US-amerikanischen "401k-Plänen", sind in Deutschland vom Gesetzgeber zurzeit nicht vorgesehen. Auf Grund einer Nominalgarantie oder einer zugesagten Mindestverzinsung bleibt für den Plansponsor stets ein Restrisiko. Die Anlagestrategie sollte daher zwei Ziele eines Pensionsplans widerspiegeln: Erstens sollte das Portfolio so strukturiert sein, dass es möglichst gut Schwankungen der Passivseite auf Grund von Zinsänderungen absichert (Absicherungsmotiv). Zweitens sollte für eine vorgegebene Risikobereitschaft eine renditemaximierende Portfoliostruktur erreicht werden (Ertragsmotiv).

Ungewollte Risiken, die etwa auf Grund einer Durationslücke zwischen den Aktiva (durchschnittlich sechs Jahre) und den Verbindlichkeiten (durchschnittlich 15 bis 20 Jahre) eines Pensionsplans entstehen, gilt es kostengünstig abzusichern. Unternehmen sind selten in Schwierigkeiten gekommen, wenn Risiken bewusst und kontrolliert gezeichnet worden sind - wohl aber durch unbekannte oder nicht quantifizierte Risiken. Erst danach ist das Unternehmen überhaupt in der Lage, mit dem noch vorhandenen Risikobudget zusätzliche aktive Risiken einzugehen.

Wichtige Punkte der Risikoanalyse

Im Mittelpunkt einer jeden Risikoanalyse steht die Separierung und Quantifizierung der folgenden Risiken: die Sensitivität gegenüber Zinsänderungen (Zinsrisiko), gegenüber Aktienmarktschwankungen (Marktrisiko) sowie das aktive Risiko, das mit den übrigen Risikoarten unkorreliert ist und so zusätzliche Renditequellen erschließt (Alpha).

Die strukturellen Veränderungen an den Kapitalmärkten zwingen die institutionellen Investoren, vorsichtiger denn je mit ihren nur noch in geringem Umfang vorhandenen Risikobudgets umzugehen. Um zu verstehen, welche Faktoren für die gesunkenen Renditeerwartungen verantwortlich sind, gilt es, die vorhandenen Renditequellen innerhalb eines Portfolios zu identifizieren. Drei Komponenten der Gesamtrendite sind zu unterscheiden: der risikolose Zins, Risikoprämien und die aktiven Renditen.

Alternativen zur Aktie

Das gesunkene Zinsniveau wirkt sich bereits auf die Renditen aller traditionellen Anlageklassen negativ aus. Viele Marktteilnehmer haben zudem ihre Erwartungen bezüglich der Risikoprämie reduziert, also des bei Aktieninvestments zu erwartenden Mehrertrags im Vergleich zu risikolosen Anlagen wie etwa langfristigen Staatspapieren.

Für institutionelle Investoren bedeutet dies, dass sie bei einem Marktrisiko, das gegenüber der Vergangenheit unverändert ist, künftig nur eine geringere Rendite erwarten können. Um eine bestimmte Zielrendite zu erreichen, müssen sie umgekehrt zusätzliches Marktrisiko in ihr Portfolio aufnehmen und dies auch mit Risikokapital unterlegen.

Es stellt sich die Frage, wie die benötigte Rendite erwirtschaftet werden kann, ohne den Aufwand - meist direkte Lohnnebenkosten - massiv zu erhöhen. Die einfache Antwort, "dann lass uns eben mehr in Aktien investieren", funktionierte noch nie, dies wurde aber in den späten 90er Jahren durch die Illusion des Bullenmarkts überdeckt.

Durch einfache Ausweitung des Aktienanteils erhöht sich nämlich nicht nur die Renditeerwartung, sondern auch der dafür zu zahlende Preis, nämlich das Risiko. Erschwerend kommt hinzu, dass nach den sehr turbulenten letzten Jahren am Kapitalmarkt der Preis pro Einheit Mehrertrag deutlich gestiegen ist. Bei fixierten Renditeerwartungen oder gar bei begebenen Garantien wie etwa Kapitalerhalt wird heute deutlich mehr Risikokapital benötigt, um mögliche Ausfälle verkraften zu können.

Diversifikation auf Portfolioebene

Das vorhandene Risikobudget ist daher möglichst effizient und sorgsam auf die Assetklassen zu verteilen. Das kann in diesem Zusammenhang nur über Diversifikation auf Portfolioebene erreicht werden. So sind etwa Overlay-Strategien, Hedge Funds, Währungen als separate Assetklasse und spezielle Formen des Immobilieninvestments oft mit den traditionellen Anlageklassen nur gering korreliert. Sie können daher den benötigten Beitrag zur Risikodiversifikation leisten.

Alternative Anlagestrategien greifen häufig auf moderne Finanzinstrumente wie Derivate zurück. Deshalb bedarf es moderner Investmentprozesse inklusive Risikomanagement, relativ flexibler Anlagerichtlinien und geänderter Gesetze, die im Rahmen internationaler Standards den deutschen Investoren keine Wettbewerbsnachteile bescheren. Mit dem zurzeit diskutierten Investmentmodernisierungsgesetz wird ein wesentlicher Schritt dahin getan. Die Kapitalunterlegung von Pensionsverbindlichkeiten im privaten wie im öffentlichen Sektor, aber auch die zu erwartenden steigenden Kapitalflüsse in moderne individuelle Rentensparpläne werden den Finanzplatz Deutschland nur dann beleben können, wenn die entstehenden Vermögenswerte nicht hauptsächlich ins Ausland abfließen.

Zur kapitalgedeckten Altersversorgung gibt es in Deutschland keine Alternative. Soll sie erfolgreich sein, sind aber weitere Schritte zur Flexibilisierung der Kapitalanlagen dringend notwendig. Institutionellen Investoren muss es über neue Anlagerichtlinien und Rahmenbedingungen ermöglicht werden, in neue Anlagestrategien zu investieren. Daraus sollten sich dann auch starke Impulse für die Kapitalmärkte und den Finanzstandort Deutschland ergeben.

Dirk Popielas ist Leiter der Pension and Insurance Services Group von Goldman Sachs Asset Management in Frankfurt am Main.

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