ftd.de, Di, 5.3.2002, 3:00

Trend: Wenn die Zittrigen verkaufen
Von Florian Schröder

 

Stimmungsindikatoren  sind ein probates Mittel, um den Tücken der Börse bei- u. dem Herdentrieb zu entkommen.

 

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Verblüffende Korrelation

Eine der bekanntesten Erfolgsformeln des Börsenaltmeisters Andre Kostolany lautete: Hartgesottene kaufen dann, wenn die Zittrigen verkaufen, und verkaufen, wenn die Zittrigen kaufen. Das Problem für die Anleger, die sich diese Formel zu Eigen machen wollen, ist jedoch, auszumachen, wann die viel beschworenen Zittrigen denn nun aktiv werden. Eine Aufgabe, an denen die meisten Profis in den Banken und Fondsgesellschaften in den vergangenen Monaten mustergültig gescheitert sind.

Einen Schritt zur Beantwortung dieser Frage können Sentiment-, oder Stimmungsindikatoren liefern. Diese Indikatoren fassen die Meinungen bestimmter Gruppen am Kapitalmarkt zusammen und spiegeln deren aktuelle Stimmung nach möglichst objektiven Maßstäben wider. "Die Finanzcommunity zeichnet sich durch einen ausgeprägten Herdentrieb aus", so Manfred Schumacher, der jüngst den ersten Sentiment-Index für den Dax vorgestellt hat (www.schumachers.net). Seine Erkenntnisse stützen die Vermutung, die an Börsenstammtischen immer wieder geäußert, aber bisher nur selten mit harten Fakten belegt werden konnte: In Boomphasen sind die meisten Marktteilnehmer positiv gestimmt und kaufen, angestachelt von bulligen Analystenkommentaren weiter nach, treiben so die Kurse immer weiter in die Höhe. Wenn es abwärts geht, läuft dasselbe Spiel in die andere Richtung ab, bis die Stimmung endgültig am Boden scheint und wieder eine positive Trendwende einsetzt.

Bewertung nach Marktwert

Schumacher fasst in seinen Indikatoren die veröffentlichten Meinungen von Analysten und Redakteuren der großen deutschen Anlegermagazine zusammen. Eine "Kauf"-Empfehlung schlägt mit einem Punkt zu Buche, ein "Halten" mit zwei Punkten und ein "Verkaufen" mit dreien. Gleichzeitig werden die einzelnen Empfehlungen gewichtet, das heißt, dass eine Bewertung etwa von Goldman Sachs schwerer wiegt als die einer kleinen Sparkasse.

Die Ergebnisse sind erstaunlich. So ließen sich die großen Dax-Trends mit Schumachers Sentiment-Indikator, dessen Daten seit Ende 1999 erhoben werden, bereits im Vorwege erkennen (siehe Grafik). Die hohen Dax-Stände jenseits der 8000er-Marke Anfang 2000 wurden begleitet von einem deutlich überhitzten Stimmungsindikator. Die Erholung seit September 2001 startete just, als sich die Stimmung am Boden befand.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt der Neuer-Markt-Sentiment-Index, den die Deutsche Börse zusammen mit dem Analysehaus Cognitrend (www.cognitrend.de) entwickelt hat. Dabei werden 140 professionelle und 160 private Anleger nach ihren Kurserwartungen für die folgenden 30 Tage gefragt. "Überwiegend pessimistische Einschätzungen deuten auf steigende Kurse hin und umgekehrt", sagt Geschäftsführer Joachim Goldberg.

Fokus Privatanleger

Mit einem reinen Fokus auf Privatanleger veröffentlicht die UBS Bank seit einigen Wochen den Index of Investor Optimism (www.ubs.com/investoroptimism). Die Umfrageergebnisse werden mittels Telefoninterviews erhoben und umfassen eine repräsentative Auswahl von 1000 Investoren in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien, wobei der Schwerpunkt bei diesem Index nicht auf reinen Kurserwartungen liegt. So werden die Teilnehmer auch gefragt, wo sie etwa derzeit bevorzugt investieren; hier liegt momentan der US-Markt mit 41 Prozent vor Europa (31 Prozent). In den USA erhebt UBS-Partner Paine-Webber bereits seit mehreren Jahren einen ähnlichen Index. Auch der zeigt, dass der beste Kaufzeitpunkt erreicht ist, wenn die Stimmung am Boden liegt.

 

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ZoomGute Stimmung, schlechte Stimmung bei Dax-Standardwerten
Warum machen sich diese Erkenntnisse clevere Analysten und Strategieexperten der Banken nicht öfter zu Eigen? Schumacher: "Analysten sind eingebunden in die Bankstruktur und vielen unterschiedlichen Interessen unterworfen." Zudem sei der einzelne Marktbeobachter nur ein kleines Rad in dem Getriebe und traue sich oftmals nicht, gegen die überwältigende Mehrheit zu votieren. Einige erfahrene Fondsmanager wie John Dorfman oder Jens Erhard investieren in Aktien, die mehrheitlich von Analysten zum Verkauf empfohlen werden und erzielten damit im vergangenen Jahr ein Top-Performances. So hat Erhard mit dem Scotinvest German-Equity-Fund mithilfe eines eigenen Sentiment-Index die meisten deutschen Aktienfonds geschlagen. Erhard: "80 Prozent Optimisten sind ein klares Verkaufssignal." Der Nachteil dieser Methode ist, dass bei ausgedehnten und irrationalen Boomphasen sowie andauernder Hochstimmung Anhänger dieser antizyklischen Strategie zu früh aussteigen. Dafür sind die Verluste aber begrenzbar.

Goldene Regeln

Finanzjournalist Schumacher gibt Anlegern einige goldene Regeln an die Hand, mit denen sie den Herdentrieb an der Börse für sich nutzen können:

- Sind Stimmung und Noten bestens (Sentiment 1,40 und besser), haben viele Anleger schon investiert und fallen als Käufer aus. Clevere verkaufen.

- Sind Stimmung und Noten schlecht (Sentiment 2,00 und schlechter), haben zittrige Anleger ihre Aktien verkauft. Clevere steigen jetzt ein, vor allem an den Stimmungs-Wendepunkten.

- Wichtiger noch als die Note ist der Trend des Indikators. Finger weg, solange er stetig nach unten zeigt, kaufen, wenn er stetig steigt.

- Je höher die Anzahl der Empfehlungen, desto zuverlässiger ist die Aussage des Indikators.

Eine Lizenz zum Gelddrucken sind freilich auch die Stimmungsindikatoren nicht. Aber immerhin stehen dem Anleger nun auch in Deutschland Entscheidungsinstrumente zur Verfügung, die es erlauben, so manchen Treck der Lemminge rechtzeitig zu verlassen.


Zur Grafik: Gute Stimmung, schlechte Stimmung bei Dax-Standardwerten


Modus

Aus den Noten 1 für "Kaufen", 2 für "Halten" und 3 für "Verkaufen", die Analysten und Finanzpresse in ihren rund 350 Empfehlungen für die Dax-Werte im Februar vergaben, ergibt sich ein Durchschnitt von 1,57. Das ist zwar etwas besser als das Januar-Ergebnis (1,59), signalisiert aber noch keine Wende. Im Unterschied zum Sentiment-Indikator sind die Einzelnoten nicht gewichtet; die "Verlierer" erhielten mindesten acht Empfehlungen.

© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration:  FTD